Sonntag, 28. September 2014

un pigeon.


"Die wahren Pariser sind eindeutig die Tauben." Mit dieser Bemerkung endet ein wahrhaftig pariserisches Wochenende, bei dem wir ausschöpften, was die Stadt zu bieten hat und was unser Herz zum Hüpfen bringt.

Freitagabend ging es in die Opéra de Paris, um sich von "La Travaiata" einnehmen zu lassen. Was schmachtend und tänzelnd anfing, endete in einem Drama aus Tränen im Nachtkleidchen. Arme Violetta. Da hat sie bis zum Ende auf ihre Liebe, Alfredo, gewartet. Doch als der Kerl endlich auftaucht, stirbt sie in seinen Armen. Die herrisch italienische Mutter wurde durch einen Père ersetzt, der mehr auf Ehre als Kochkünste hielt. Eine Oper, die mich wirklich in ihren Bann zog, deren Musik mir stundenlang durch den Kopf violinierte und dessen Ausgang, zwar einen Hauch kitischig, wenn doch rührend war. Im Schwingschritt ging es nach Hause, an der Seine entlang, sich auf zwei Tage mit amusements gefreut, um dann in die Kissen zu sinken.

 Die Sonne weckte uns am nächsten Tag gegen Mittag, der Körper erholt sich von "was weiß ich". Nach einer guten Dosis Tee ging es hinaus, vorbei an der Ecole des Beaux-Arts, in der die Modenschauen der Fashion Week stattfanden. Der Louvre wurde teilweise gesperrt, da auch dort Laufstege aufgebaut wurden. Zur Zeit dieses großen modischen Ereignisses, erlauben sich die Mesdames und Mesmoiselles kleidertechnisch alles. Überall werden exzentrische Schuhe mit knalligen Kleidern gemischt, dazu ein Hauch Lippenstift und Rouge und jedes Gesicht versucht ein "je ne sais quoi" auszustrahlen. Währenddessen erlaubt sich Vogue eine Frage aufzugreifen, die jedes Jahr im Herbst gestellt wird: Es geht um die Vorlieben, modisch, kulinarisch, litterarisch, kulturell der Pariserin. Dabei muss sie natürlich mit Adjektiven wie très chic angemalt werden. Dabei hat es Tucholsky schon ganz gut getroffen:

Und ich erzählte ihr, daß die Französinnen sehr vernünftige Wesen seien, mit einer leichten Neigung zu Kapricen, die seien aber vorher einkalkuliert, und sie hätten pro Stück meist nur einen Mann, den Mann, ihren Mann, der auch ein Freund sein kann, natürlich – und dazu vielleicht auch anstandshalber einen Geliebten, und wenn sie untreu seien, dann seien sie es mit leichtsinnigem Bedacht. Beinah jede zweite Frau aber hätte einen Beruf. Und sie regierten das Land ohne Stimmrecht – aber eben nicht mit den Beinen, sondern durch ihre Vernunft. Und sie seien liebenswürdige Mathematik und hätten ein vernünftiges Herz, das manchmal mit ihnen durchginge, doch pfiffen sie es immer wieder zurück. Ich verstände sie nicht ganz.
(K. Tucholksy, Schloss Gripsholm, 1931)

Und gleichzeitig sollten wir uns fragen, wozu wir diese ständigen Definitionen brauchen? Die Mode stellt einmal pro Monat eine Farbe vor, die unbedingt getragen werden muss. Im Moment scheinen es kaki und rot zu sein. Zudem gibt es zehn Bücher, die auch unbedingt gelesen werden müssen.. Ausstellungen, die jeder unbedingt sehen sollte.. Inwieweit können wir uns da noch zurecht finden und herausfinden, was wir wirklich wollen?
So zum Beispiel die Ausstellung zu Marcel Duchamp im Centre Pompidou, die wir am Samstag sahen. Wir wunderten uns über die geringe Besucherzahl am ersten Wochenende und mussten feststellen, dass kaum ein Magazin sie als "unbedingt sehen" qualifizierte. Dabei war sie durchaus interessant! Wir nahmen an einer Führung teil, die zwar den künstlerischen Aspekt Duchamps durchaus präzise vorstellte, jedoch keine biografischen Inhalte erläuterte. Mir stellte sich also die Frage: Warum versucht jemand das Unsichtbare sichtbar zu machen? Warum ist jemand so sehr vom weiblichen Körper fasziniert?
Was sollen diese ganzen Themen zur Heirat, Ehe, dem Körper? Wie hat dieser Mensch wohl gelebt? Welche Enttäuschungen hat er wohl erleben müssen? Was hat ihn zum Lachen gebracht? Denselben Gedanken hatte ich schon im letzten Jahr nach der Ausstellung der Werke Frida Kahlos. Nach der Besichtigung stürzte ich mich ins Lesen ihrer Briefkorrespondenzen, um den Versuch eines Eintauchens in ihr Wesensding zu machen. Marcel Duchamp scheint da wohl der Nächste zu sein. Gleichzeitig erinnert mich das Verhalten an eine Figur aus "Amerikanische Idyille" von P. Roth, die in ihrer Jugendzeit sich momentanhaft immer anderen Persönlichkeiten widmete, um sie zu analysieren.


 Nach der Ausstellung baladierte ich noch eine Weile bei meinem Lieblings-Gepetto und ließ mich vom feinen Ledergeruch bezaubern. Jedoch ist es keine gute Idee an einem Samstagnachmittag sich einem solchen Interesse hinzugeben... schließlich wird der von sehr sehr vielen Touristinnen und Einwohnerinnen geteilt. Mit der Vogue unter dem Arm zogen wir daraufhin in den Jardin des Tuileries, um den sonnigen Ausklang des Tages einzufangen. Herrlich diese Herbstfarben und dazu eine knallige runde Kugel am Himmel. Kein Lufthauch wagte es sich da einzumischen und der graue Schleier auf den hausmann'schen Gebäuden hielt sich ebenso zurück. Kaum zu glauben, dass es in fünf Wochen endlich wieder nach Hause geht und Straßburg in der Erfahrungskiste Platz finden wird. Aber es wird Zeit. Zurückzukehren. Die Stadt wieder voll auszukosten.

 Der Sonntag war hingegen klassisch. Brunch, Jardin de Luxembourg, Tee im Salon de thé der Mosquée. Die Süße des Pfefferminztees ist immer noch auf den Lippen zu schmecken. Könnte es nicht Lippenpflege mit demselben Geschmack geben? Der Salon war richtig überfüllt, die Gäste klapperten mit ihren Kuchenlöffeln und die Spatzen schauten gierig auf die Kekskrümel die von den Tellern fielen. In einer Ecke saßen wir und schauten uns diesen Tumult an. Wie oft suchte ich schon diesen Ort auf, um mich vom zuckrigen Tee umarmen zu lassen. Da schlägt die Herzpumpe immer gleich im Zentakt und hört den Redewellen der Leute zu. Erstaunlicherweise verleitet mich das nie zu einer plapprigen Stunde. Es ist auch nicht so, als würde mich dieser Wörterlärm einschüchtern.. Es ist eine eigenartige Beruhigung, anderen beim Schnattern und Lachen zuzusehen. Zu lauschen. Und sich dabei von den vielen farbigen Kacheln umringt zu fühlen. Genauso ist es auch bei Finkelstein, wenn ich dort zu Pfefferminztee und Käsekuchen einkehre. Dann sitze ich in einer Ecke und schaue den lüsternden Augen der Kunden zu. Die Frauen sind geschäftig, verhandeln, verpacken und Herr Finkelstein sitzt an seiner Kasse und schmunzelt, tippt, zählt und macht kleine Scherze, auf die seine Frau sofort reagiert, bevor die junge, vorzugsweise weibliche, Kundin reagieren kann. Schachmatt. Er seufzt und macht weiter.





Es gibt so viel über diese Stadt zu sagen. So viele Orte, die zu Plapprigkeit, Schwung, Tanzen, Staunen, Lächeln, Ruhe etc. einladen.
"Fly me to the moon" sang vorhin ein sehr charmanter Sänger in Saint Germain de Près.. Würde ich gerne, doch nur wenn ich Paris mitnehmen kann.









So. Und jetzt gibt es ein Glas Cidre.

































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